Schwerte: Flüchtlinge sollen in ehemalige KZ-Außenstelle ziehen

Flüchtlinge sollen in ehemalige KZ-Außenstelle ziehen: Die Stadt Schwerte will Asylbewerber in einer Baracke unterbringen, die einst zu einem Außenlager des KZ Buchenwald gehörte. Asyl-Initiativen finden das geschmacklos

Ein Teil der alten Wachmauer ist noch erhalten, der Stacheldrahtzaun hingegen ist längst verschwunden. Gewerbebetriebe haben die dunkelroten Klinkerbauten bezogen, die neben weiß gestrichenen Baracken stehen. Kaum noch etwas erinnert an die Geschichte dieses Ortes: Während des NS-Zeit befand sich hier, am östlichen Stadtrand der Ruhrgebietskommune Schwerte, das größte Ausbesserungswerk der Reichsbahn. Es war zugleich eine Außenstelle des Konzentrationslagers (KZ) Buchenwald. Zwangsarbeiter, vor allem aus Osteuropa, mussten hier schuften, bis zu 701 Gefangene waren hier zeitweise untergebracht, zusammengepfercht in Etagenbetten. Im Januar 1945 wurde die Außenstelle geschlossen, nun, fast auf den Tag genau 70 Jahre später, wird aller Voraussicht nach ein Teil von ihr neu bezogen: In dieser Woche sollen die ersten von insgesamt 21 Asylbewerbern in eine der Baracken ziehen. So will es die Stadt Schwerte. Vermutlich handelt es sich um eine ehemalige Wasch-Baracke der Lageraufseher, eindeutige historische Belege fehlen.

Baracken wurden schon für Kindergarten genutzt 

Die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland steigt. Vielerorts werden neue Heime gebaut, oft aber werden auch bestehende Gebäude umgewidmet. Klamme Kommunen sind zur Kreativität gezwungen – doch darf man Flüchtlinge in einer ehemaligen KZ-Außenstelle unterbringen? Die Stadt Schwerte sieht das Ganze gelassen. Stadtsprecher Carsten Morgenthal versichert, dass in dem Gebäude nie Lagerhäftlinge untergebracht worden seien. Es handle sich um eine pragmatische Lösung, irgendwo müssten die Asylbewerber schließlich unterkommen. Morgenthal sagt zudem, dass die Baracken schon seit Ende des Zweiten Weltkriegs für unterschiedliche Zwecke genutzt wurden: Zunächst als Unterkunft für Kriegsversehrte, dann als Lagerhalle, dann einige Jahre als Künstleratelier. Zuletzt beheimatete das Gebäude einen Waldorf-Kindergarten, in der Nachbarschaft nutzen Pfadfinder nach wie vor die Räumlichkeiten eines anderen historischen Gebäudes.

“Ein Ort von Ausbeutung, Unterdrückung und entgrenzter Gewalt” 

Schwerte hatte im vergangengen Jahr eine dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen beschlossen: Soweit es geht, sollen Asylbewerber in Wohnungen unterkommen. Oder in kleinen Sammelunterkünften für rund 20 Personen. Da kam die Stadt auf die Baracke. Während sich die Stadtverantwortlichen entspannt geben, kommt von außen deutliche Kritik. “Auch wenn diese SS-Waschbaracke in der Vergangenheit schon öfter für andere Zwecke genutzt wurde, sollte sich daraus kein Automatismus ableiten, dies auch in Zukunft zu tun”, findet etwa Christine Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide. “Es handelt sich hier nicht um einen normalen, beliebigen Ort, sondern um einen Ort von Ausbeutung, Unterdrückung und entgrenzter Gewalt.” Es sei schwer vorstellbar, dass Flüchtlinge, die genau aus solchen Gründen gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen und alles zurückzulassen, an so einem Ort untergebracht werden. Dem pflichtet Birgit Naujoks bei. Die Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats NRW findet die Entscheidung der Kommune “bedenklich und befremdlich, mindestens jedoch unsensibel”. Naujoks rät zu der von ihr ansonsten oftmals kritisierten Unterbringung in Containern. Die Stadt teilte allerdings mit, dass dies allein aus finanziellen Gründen nicht möglich sei.

“Vorbildliche” Aufarbeitung 

Über die Existenz des Lagers wurde in Schwerte lange kaum offen gesprochen. Erst zu Beginn der Achtzigerjahre begann die Aufarbeitung, die dann aber ernst- und gewissenhaft verfolgt wurde. 1990 schuf etwa der Dortmunder Bildhauer Horst Wegener den Häftlingen des Lagers Schwerte-Ost ein Denkmal. Begraben unter Eisenbahnschienen liegen fünf Skulpturen. Sie stellen Zwangsarbeiter dar, deren Körper die Schwellen im Gleisbett bilden, manche verwesend, andere mit weit aufgerissenen Mündern, wieder andere stumm. Daneben erinnert eine Gedenktafel an die Geschichte des Ortes. Acht der erhaltenen Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Am 8. Mai, dem Tag der Kapitulation der Wehrmacht, veranstalten Stadt und Künstler jährlich eine Gedenkfeier, zu der in der Vergangenheit auch Überlebende des Lagers eingeladen wurden. Historiker Manfred Grieger nennt den Umgang mit der NS-Vergangenheit gar “vorbildlich”. Er hat zu den Außenstellen des KZ Buchenwald geforscht, 1985 veröffentlichte er seinen ersten Aufsatz zur Geschichte der Zwangsarbeit im Konzentrationslager Schwerte-Ost. Zur der geplanten Unterbringung von Flüchtlingen sagt er: “Die Verantwortung wird man nicht los, indem man all diese historisch belasteten Orte unter Quarantäne stellt.” Wie womöglich traumatisierte Flüchtlinge reagieren, wenn sie erfahren, an welchem Ort sie untergekommen sind, wird man in Schwerte jedoch erst noch abwarten müssen.

Veröffentlicht auf Spiegel Online (12.01.2014)

Foto: Ein Mahnmal gedenkt der Zwangsarbeiter im ehemaligen Außenlager des KZ Buchenwald “Schwerte-Ost”. © Horst Wegener