Wählen und fegen – Historische Wahlen in Burkina Faso

In Burkina Faso finden am Sonntag erstmals seit 28 Jahren freie Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Doch das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber den Machthabern sitzt tief

Der kommende Sonntag wird ein historischer Tag für Burkina Faso. In dem westafrikanischen Land stehen die ersten freien Wahlen seit 28 Jahren an. Das scheint nach den turbulenten Ereignissen der vergangenen Monate bereits ein Erfolg zu sein. Die wahren Herausforderungen stehen jedoch erst noch bevor.
Im Oktober 2014 drängten Massendemonstrationen den Präsidenten Blaise Compaoré nach 27 Jahren aus dem Amt. Compaoré hatte versucht, sich mit einer Verfassungsänderung den Weg zu einer weiteren Amtszeit zu ebnen (Jungle World 45/2014). Nach seinem Sturz sollte eine Übergangsregierung die Wahlen vorbereiten. Zunächst schien alles geordnet abzulaufen, manche Beobachter schwärmten bereits von Burkina Faso als Ursprungsort eines »afrikanischen Frühlings«. Die Burkinabé selbst hingegen blieben von Anfang an skeptisch. Von Revolution könne keine Rede sein; die meisten sprechen lieber von einem Aufstand, der andauere. Das Misstrauen gegenüber Politikern sitzt tief. Seit Frankreich das Land 1960 offiziell in die Unabhängigkeit entließ, erlebte Burkina Faso sieben Staatsstreiche.
Entsprechend groß blieb die Furcht vor einer Rückkehr der alten Machthaber, zumal an der Spitze der Übergangsregierung mit Isaac Zida ein hoher Armeeoffizier steht und der geschasste Präsident unbehelligt im nahen Exil weilt. Compaoré floh – unbestätigten Berichten zufolge in einem französischen Armeehelikopter – ins Nachbarland Côte d’Ivoire, wo er bis heute in einer Villa residiert. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen ihn erlassen, seine Auslieferung ist jedoch unwahrscheinlich.

Vor allem die Jugend, die für einen grundlegenden Wandel auf die Straßen gegangen ist, fürchtet, dass Compaoré aus dem Exil seine Rückkehr vorbereitet. Dieses Szenario schien sich zu bewahrheiten, als im September dieses Jahres die Präsidentengarde RSP putschte (Jungle World 39/2015). Der Chef der Eliteeinheit, General Gilbert Diendéré, der als engster Vertrauter Compaorés gilt, nahm die Übergangsregierung in Geiselhaft. Die Forderung der Putschisten lautete, dass alle Kandidaten zu den Präsidentschaftswahlen zugelassen werden sollten. Die Übergangsregierung hatte zuvor mit einem neuen Wahl­gesetz festgelegt, dass Mitglieder der ehemaligen Regierungspartei CDP nicht zur Wahl antreten dürfen. Den Protegés der Präsidentengarde drohte also die politische Bedeutungslosigkeit. Diendéré bezeichnete den Staatsstreich allen Ernstes als Maßnahme »zur Wahrung der Demokratie«.
Die Putschisten gaben nach einer Woche auf. Zu groß war der Widerstand der internationalen Gemeinschaft und der eigenen Bevölkerung, die erneut zu Zehntausenden auf die Straße ging. 14 Tote und 251 Verletzte zählte die Übergangsregierung, nachdem der RSP auf die Demonstrierenden geschossen hatte. Schließlich entwaffnete die reguläre Armee die Putschisten, die nun in die nationalen Streitkräfte eingegliedert werden sollen. General Diendéré wird sich vor Gericht verantworten müssen, unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschheit.
Durch den Putsch sah sich die Übergangsregierung gezwungen, die Wahlen zu verschieben. Auch Mitglieder der Übergangsregierung dürfen nicht für das Präsidentenamt kandidieren, sondern nur für einen Sitz im Parlament, das ebenfalls am Sonntag gewählt wird. Nun konkurrieren 14 Kandidaten um das Präsidentenamt. Fast alle besetzten unter der alten Regierung Ämter.
Einer der aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten, Roch Marc Kaboré, hatte unter Compaoré als Ministerpräsident, Parlamentsvorsitzender und Parteivorsitzender des CDP gedient, bevor er diesen im April 2014 verließ, um eine eigene Partei zu gründen. Sein wohl stärkster Konkurrent, der ehemalige Wirtschaftsminister Zéphirin Diabré, verließ die Regierungspartei bereits 2009. Auch Diabré gründete eine eigene Partei und trat seither de facto als Oppositionsführer auf. Viele Burkinabé haben dennoch ihre Zweifel an der Integrität beider Kandidaten, zu allgegenwärtig sind Korruption und Klientelismus.

Die einzig nennenswerte Ausnahme scheint Bénéwendé Sankara zu sein. Der Anwalt und Menschenrechtler kandidiert für die Partei Union pour la renaissance/Mouvement sankariste (UNIR/MS) und sieht sich selbst in den Fußstapfen seines Cousins Thomas Sankara. Der General und überzeugte Panafrikanist wollte Burkina Faso nach einem Putsch 1984 in den Sozialismus führen und wird bis heute über die Landesgrenzen hinweg als Held verehrt. 1987 wurde Thomas Sankara ermordet – mutmaßlich im Auftrag seines Nachfolgers Blaise Compaoré. Der Fall wird erst seit dem Sturz Compaorés aufgearbeitet. Sankaras Visionen überlebten die reaktionäre Herrschaft Comparorés. »Einzelne Revolutionäre kann man töten, nicht aber ihre Ideen«, soll Sankara gesagt haben, wissend, dass er sich mit seiner Politik für die Armen Feinde im Establishment machte.
Die Ideale des Sankarismus sind bis heute äußerst populär – vor allem unter jungen Menschen, von denen die meisten nie etwas anderes als das Regime Compaoré erlebt haben. Doch der charismatische Präsidentschaftskandidat Bénéwendé Sankara hat ein Problem. »Die Sankaristen haben wenig Geld und daher weniger Möglichkeiten, ihre Anhänger zu mobilisieren oder sich Stimmen zu kaufen«, sagt Cynthia Ohayon, die für die International Crisis Group das Geschehen in Burkina Faso analysiert. Bisher war es so, dass die Regierungspartei Säcke mit Reis oder T-Shirts mit dem Konterfei ihres Kandidaten an die arme Landbevölkerung verteilte, um sich die Gunst der Wähler zu kaufen.

Und dann gibt es noch das politische Bündnis balai citoyen (Bürgerbesen). Es hatte entscheidend für die Massenproteste im Oktober 2014 mobilisiert. Vor allem bei jungen Burkinabé findet die Bewegung Zuspruch, nicht zuletzt, weil zu ihren Gründern die bekannten Musiker Smockey und Sams’K Le Jah gehören. Bei den Wahlen anzutreten, kommt für die beiden jedoch nicht in Frage. »Wir verstehen uns als außerparlamentarisches Korrektiv«, sagt der Rapper Smockey. Für die Wahlen haben sie sich die Aktion »Je vote et je reste« (Ich wähle und bleibe) ausgedacht. Wer seine Stimme im Wahllokal abgegeben hat, soll bleiben und einen reibungslosen und fairen Verlauf der Abstimmung sichern – zusätzlich zu Wahlbeobachtern der EU, die die Übergangsregierung schon vor Wochen ins Land geholt hat.
Die Mitglieder des balai citoyen haben den Anspruch, das Geschick Burkina Fasos selbst in die Hand zu nehmen. Es geht ihnen ums Ganze: Die französische Armee soll ihre Truppen aus Burkina Faso abziehen. Der CFA-Franc, die an den französischen Franc gekoppelte Gemeinschaftswährung Westafrikas, soll abgeschafft, die Einnahmen aus dem Goldabbau sollen fair verteilt werden. Die Verträge mit dem Agrarkonzern Monsanto, der das Land dank freundlicher Unterstützung des gestürzten Präsidenten zu einem Vorreiter genetisch veränderter Lebensmittel in Afrika gemacht hat, sollen gekündigt werden.
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Burkina Faso hat heute die niedrigste Alphabetisierungsrate der Welt und gehört zu den ärmsten Ländern. Eines aber hat sich seit dem Sturz Compaorés grundlegend gewandelt: das Selbstbewusstsein der Bevölkerung. »Einen erfolgreichen Putsch wird es in Burkina Faso nicht mehr geben«, ist sich Rapper Smockey gewiss. »Sonst werden wir wieder auf Straße sein.«

Erschienen in der jungle world

Foto: Ausgebrannte Autos vor dem Parlament in Ouagadougou erinnern noch Monate später an die Massenproteste. © Marius Münstermann

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