Aufklären, bevor es wieder brennt

Die Aufnahme von Geflüchteten stellt viele Gemeinden vor Herausforderungen. Mancherorts vermengen sich die Ressentiments der Bevölkerung mit der rassistischen Hetze der organisierten Rechten – teils kommt es sogar zu Anschlägen. Doch wo frühzeitig informiert wird, gibt es positive Erfahrungen.

Demo gegen Rassismus in Stuttgart. Foto: Martin Storz

Demo gegen Rassismus in Stuttgart. Foto: Martin Storz

Ottmar Konik hat genau nachgezählt: 103 Menschen leben im Wendlinger Ortsteil Bodelshofen. Wenn es nach der Gemeindeverwaltung geht, könnten bald 130 weitere dazukommen. So viele Plätze nämlich sind in dem Asylheim vorgesehen, das der zuständige Landkreis Esslingen im Juni eröffnen möchte. Ottmar Konik, der als inoffizieller, aber allgemein akzeptierter Sprecher der Dorfgemeinschaft fungiert, bereiten die geplanten Containerunterkünfte für Flüchtlinge auf dem brachliegenden Gelände eines ehemaligen Spätaussiedlerheims “Sorgen um das Dorfwohl”.

In einem offenen Brief hat er sich daher an Wendlingens Bürgermeister Steffen Weigel gewandt. In dem Schreiben erklärt Konik zunächst: “Die Aufnahme von Schutzbedürftigen ist ein Akt gelebter Solidarität und wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Stadt Wendlingen sich in dieser Sache engagiert.” Was Konik stört, ist die fehlende Verhältnismäßigkeit. 30 Flüchtlinge könne Bodelshofen verkraften. Im Namen der Dorfgemeinschaft fordert Konik, die anderen Flüchtlinge gleichmäßig auf das gesamte Stadtgebiet zu verteilen. Dazu listet er gleich mehrere alternative Standorte auf. Dabei ginge es nicht bloß um das Verhältnis zwischen Dorfgemeinschaft und Flüchtlingen. Die geplante Unterkunft sei “ganz weit draußen”, betont Konik, allein die nächste Einkaufsmöglichkeit liegt mehrere Kilometer entfernt. Wieder einmal werden Flüchtlinge an den Rand gedrängt – nach dem Motto: aus dem Augen, aus dem Sinn.

Nicht nur in Wendlingen gibt es Streit um das Thema Asyl. Das Ministerium für Integration des Landes Baden-Württemberg rechnet für dieses Jahr mit 14 000 zusätzlichen Flüchtlingen, die in den Landkreisen untergebracht werden müssen. Wo immer die Behörden mögliche Standorte für neue Unterkünfte ins Auge fassen, regen sich Bedenken in der Bevölkerung.

Nicht immer bleibt es bei nachvollziehbaren Bedenken. Im Stuttgarter Wohngebiet Hattenbühl etwa fürchten Anwohner um den Wert ihrer Immobilien und schüren Ängste vor ausufernder Kriminalität. Die Liste fremdenfeindlicher Stimmungsmache lässt sich landauf, landab beliebig fortsetzen: Von Aidlingen (Landkreis Böblingen) über Bretten (LK Karlsruhe), Dettingen (LK Reutlingen), Geislingen (LK Göppingen), Kirchheim (LK Esslingen), Ladenburg (Rhein-Neckar-Kreis), Waiblingen (Rems-Murr-Kreis), Pleidelsheim und Sachsenheim (LK Ludwigsburg) bis Wehr (LK Waldshut) formiert sich Widerstand gegen die Unterbringung von Flüchtlingen.

Die organisierte Rechte hetzt gegen Flüchtlinge

Mancherorten kommt es gar zu unverhohlen rassistischer Hetze gegen Flüchtlinge. Im allgäuischen Isny (Landkreis Ravensburg) etwa initiierten Unbekannte im November über Facebook eine Kampagne gegen das vor Ort geplante Asylheim. Auf einer Facebook-Seite mit dem harmlos klingenden Titel “Nein zum Heim in Isny” verbreiteten sie rechtes Gedankengut und verlinkten auf Webseiten mit neonazistischen Inhalten, etwa auf die Webpräsenz des “Freien Netzes Süd”, eines der führenden rechten Kameradschafts-Verbände in Süddeutschland.

Flüchtlingsunterkunft in Schelklingen (Alb-Donau-Kreis). Fotos: Jo E. Röttgers

Flüchtlingsunterkunft in Schelklingen (Alb-Donau-Kreis). Fotos: Joachim E. Röttgers

 

Das Vorgehen der Rechten ist dabei immer dasselbe: “Mit dem Slogan ‘Nein zum Heim’ wird eine aktuelle Kampagne der NPD, die sich bundesweit gegen Asylbewerberheime richtet, aufgegriffen”, heißt es in der Antwort des Stuttgarter Landtags auf eine kleine Anfrage des CDU-Abgeordneten Thaddäus Kunzmann. So sind das Erscheinungsbild und die Inhalte der Facebook-Seiten oftmals identisch. Rechte Webseiten wiederum bewerben die Facebook-Auftritte der Heim-Gegner, sodass sich nicht selten Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet auf den lokalen Seiten tummeln – das erhöht nicht nur die Deutungshoheit zugunsten der Rechten, sondern vermittelt in den oftmals kleinen Ortschaften auch den Eindruck einer großen Bewegung. So wird versucht, die vorhandenen Ressentiments der Bevölkerung weiter zu schüren.

NPD-Landesgeschäftsführer Jürgen Schützinger gibt unumwunden zu: “Wir begrüßen die allerorten entstehenden Bürgerinitiativen. Wo die Bürger ihrem Protest Ausdruck verleihen, müssen sich die jeweiligen NPD-Ortsverbände einbringen.” Konkret bedeute dies, dass die NPD beim Verteilen von Flugblättern oder dem Sammeln von Unterschriften gegen geplante Asylheime helfe – so geschehen zuletzt in der vergangenen Woche, als sich in Brettener Briefkästen erneut Flugblätter fanden, mit denen die NPD im Vorfeld der Kommunal- und Europawahlen das Thema Asyl instrumentalisiert.

Auch andere rechte Gruppierungen machen sich die Unwissenheit in der Bevölkerung für ihre Stimmungsmache zu nutzen. So etwa die “Freien Nationalisten Esslingen”, eine rechte Kameradschaft, die seit Längerem mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf sich aufmerksam macht. Die Gruppierung tritt überregional in Erscheinung, zuletzt demonstrierte sie Anfang Januar im rheinland-pfälzischen Ludwigshafen gemeinsam mit der rechten Splitterpartei “Der III. Weg” gegen ein dortiges Asylheim.

Aus Schlagworten werden Brandsätze

Kurz vor dem Jahreswechsel brachten Mitglieder der Kameradschaft am Ortseingang von Bodelshofen ein Transparent mit der Aufschrift “Asylantenflut stoppen” an. Gleichzeitig verteilten sie Flugblätter mit ausländerfeindlichen Parolen, um gezielt Ängste vor der geplanten Asylunterkunft zu schüren. Ein Sprecher der zuständigen Polizeistelle bezeichnet die Freien Nationalisten Esslingen als “eine Gruppierung, die einfach ihre Meinung kundtut”. Zwar steht die Kameradschaft unter Beobachtung von Polizei und Landesamt für Verfassungsschutz. Strafrechtlich sei ihr Auftreten jedoch nicht von Belangen, da weder Beleidigungen noch der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt würden, so ein Polizeisprecher.

Schelklinger Innenansichten.

Schelklinger Innenansichten.

 

Auch für den Landkreis Esslingen gibt es eine Facebook-Seite mit dem Titel “Nein zum Heim”. Und auch hier lässt sich nicht klären, wer hinter der Seite steckt. Dass auf der Seite allerdings rechte Webinhalte verlinkt werden, lässt auf die Gesinnung der Verantwortlichen schließen. Unter anderem wird eine Stellungnahme der Freien Nationalisten Esslingen zur Asylpolitik des Landkreises als “interessanter Artikel” beworben.

Bei manchen scheint diese rechte Hetze zu fruchten, wenngleich die meisten eine Nähe zum rechten Spektrum vehement von sich weisen. In der Kommentarspalte der “Schwäbischen Zeitung” etwa schreibt ein Nutzer zur hitzigen Asyldebatte in Isny: “Wer sich hier getrauen sollte, ehrliche, offene Kritik an Wirtschaftsflüchtlingen zu üben, der wird auch in Isny gleich in die ‘Rechte Ecke’ abgedrängt – und wer will das schon in einer Kleinstadt wie Isny? Daher wird es gut sein […] weiter nur hinter verschlossener Tür seine ehrliche Meinung zu äußern.” Der Kommentar endet mit den bedenklichen Worten: “Oh heiliger St. Florian, behüt mein Haus, zünd andere an.” Dass aus Worten der geistigen Brandstifter durchaus Taten werden können, zeigen die Brandanschläge auf Asylunterkünfte in Wehr und Bad Buchau, bei denen glücklicherweise niemand ernsthaft verletzt wurde.

Traurige Adresse am Rande der Gesellschaft.

Traurige Adresse am Rande der Gesellschaft.

 

Frühzeitig Informieren gegen rechte Ressentiments

Doch so einfach geht die Rechnung der Rechten nicht auf. In Isny gründete sich bald nach Bekanntwerden der rechten Umtriebe eine bürgerliche Gegenbewegung. Auch andernorts setzt die Bevölkerung den rechten Parolen solidarische Unterstützung der Flüchtlinge entgegen. In Asylcafés geben Nachbarn Deutschunterricht, andere Freiwillige spenden Schulranzen für die Kinder aus den Flüchtlingsunterkünften oder helfen bei Behördengängen.

Der Stuttgarter Asylpfarrer Werner Baumgarten kennt viele dieser Unterstützerkreise. Baumgarten, der auf langjährige Erfahrung in der Asylarbeit zurückblicken kann, weiß, wie wichtig dies für das Miteinander von Flüchtlingen und Nachbarn ist. Wo es gut laufe, wie etwa in den Stuttgarter Stadtteilen Heumaden und Riedenberg, gibt es diese Freundeskreise, eine vernünftige Bauweise der Unterkünfte und eine dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge. Und damit rechte Ressentiments erst gar nicht aufkommen, so Baumgartens Erfahrung, ist eine frühzeitige Information und Diskussion über Standort und Anzahl der Flüchtlinge notwendig.

Darauf wartet Ottmar Konik in Wendlingen-Bodelshofen bisher vergeblich. Er kennt die Freien Nationalisten Esslingen nicht, die ihm erst kürzlich wieder ihre rassistischen Flugblätter in den Briefkasten gesteckt haben. Er will mit ihnen auch nichts zu tun haben. Wie es mit der geplanten Asylunterkunft in seinem Ortsteil weitergeht, weiß man aber auch nicht. Eine hierzu geplante Informationsveranstaltung der Stadtverwaltung Wendlingen wurde “aus organisatorischen Gründen” um einen Monat verschoben. Zunächst wird sich der Gemeinderat Ende Januar in einer nicht öffentlichen Sitzung mit dem geplanten Heim beschäftigen, bevor die Bodelshofener im Februar nähere Auskünfte zur geplanten Asylunterkunft bekommen sollen. Thomas Eberhard, Dezernatsleiter des zuständigen Landrats in Esslingen, räumt ein, dass es “einen gewissen Unmut” in der Bevölkerung gebe. Wendlingens Bürgermeister Steffen Weigel ist hingegen im Vorfeld der Informationsveranstaltung überzeugt, die Gemeinde könne “die Leute dafür gewinnen, sich einem Unterstützerkreis für die Asylbewerber anzuschließen” – so, wie es sich andernorts bewährt hat.

Erschienen in der Kontext Wochenzeitung

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